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Loss mi amoi no d'Sunn aufgeh sehn

Nicht, dass ich vorhätte, in absehbarer Zeit das Zeitliche zu segnen, aber zeitweise denke ich durchaus darüber nach, was denn mit der Zeit am Wochenende so anzufangen sei. Ginge es nach meinen Zeitgenossinnen und -genossen, so hätte ich definitiv keine Freizeit, jedes Quäntchen meiner Zeit wäre Arbeitszeit.

Ein freitagabendlicher Blick auf die Wettervorhersage des nächsten Tages nötigte mich gestern allerdings dazu, alle "unglaublich wichtigen" Erledigungen für ein paar Stunden auf Eis zu legen und wieder einmal ein wenig Mensch zu spielen.

Die Sonne sollte an diesem Samstag viele Stunden vom Novemberhimmel lachen, ein Umstand, der meinen Blick unweigerlich auf die noch ungeputzten Wanderschuhe im Vorzimmer fallen ließ. Ich würde sie einfach im Schnee sauberlaufen. Ja, und starten würde ich bei Sonnenaufgang. Also um etwa sieben Uhr.

Etwas steif und verschlafen blickte der Brückenheilige Johannes Nepomuk auf mich herab, als ich nur wenige Meter von meinem Haus entfernt vor ihm den Taxenbach überquerte. So stapfte ich in einen noch trübgrauen Morgen, der nicht erahnen ließ, welche Farbenpracht die nächsten dreißig Wegkilometer für mich bereithalten sollten.

Einige Schritte ging es entlang der Thaya, die auch noch still und kalt abzuwarten schien, was dieser Novembertag bringen würde. Als ich mich jedoch bei Oberedlitz nach Westen wandte, beschloss die Sonne, sich zu zeigen. Nein, viel eher beschloss sie, regelrecht zu erscheinen.

Was immer sie berührte, sie ließ es erröten, so als schämte sich die Landschaft, die vergangenen Stunden im Schiefergrau der Nacht verbracht zu haben. Das war die Tageszeit, die ich hier am freien Feld miterleben wollte, deswegen war ich früh aufgestanden. Ich schaute. Ich atmete. Ich genoss.

Doch ich ging auch. Erst in die Marktgemeinde Thaya, dann wieder zum gleichnamigen Fluss hinunter.

Zwar war es novemberkalt, die aufgebrochene Erde der Felder lag erstarrt und sah bereits aus wie das Brot, das einst aus ihr erstehen würde, doch ich bewegte mich zügig, was bedingte, dass mir warm war - ja, ich empfand die Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt als geradezu ideal, um flott draufloszumarschieren. Es war windstill, beinahe klar, friedlich.

So alleine vor mich hinwandernd, kreisten meine Gedanken eher um Grundsätzliches, weniger um Erlebnisse im Außen. Mehr denn je spürte ich, dass das Leben gelebt werden wollte, nicht abgesessen. Es sollte ein Abenteuer sein, keine Haftstrafe. Vielleicht war das eine Binsenweisheit, beim Wandern in einen noch jungen Tag bekam sie aber Gewicht, Bedeutung, Wahrheit. Das Hirn funktionierte. Und auch das Herz. Besser als im Sitzen.

Die Sonne war mittlerweile hoch über den Horizont gestiegen, sie schien mich zu begleiten. Natürlich tat sie das nicht wirklich, es war ihr nicht bewusst, dass es mich gab. Wer viereinhalb Milliarden Jahre alt ist, steht ein wenig über den Dingen.

Und doch erschien mir das Verhältnis zwischen Sonne und Erde als durchaus passende Metapher für so manches Menschliche.

Wie das? Dafür zuallererst ein kleiner astrophysikalischer Exkurs:

Die Erde kommt der Sonne im Winter am nächsten, just dann, wenn es in unseren Breiten am kältesten ist. Ist es bei uns jedoch so richtig warm, ist die Sonne am weitesten von uns entfernt. Ein Paradoxon? Mitnichten, meine Herr- und Frauschaften. Ausschlaggebend für die Temperatur hierzulande ist nämlich nicht die Entfernung von unserer stellaren Wärmequelle, sondern die Schiefstellung der Erdachse. Im Sommer ist die Nordhalbkugel der Sonne maximal zugeneigt. Die Sonnenstrahlen fallen steiler auf unsere heimatlichen Gefilde und heizen sie so richtig auf. So weit, so gut. Das haben wir alle einst in der Schule gelernt.

Was aber haben jene physikalischen Tatsachen mit den zarten Gespinsten menschlicher Befindlichkeiten zu tun?

Nun, eigentlich nichts. Wenn man aber alleine vor sich hinwandert, drängen sich dann doch Parallelen in den offenbar unterbeschäftigten Geist:

Ist es denn nicht auch zwischen Menschen so, dass weniger die Entfernung als die Neigung für zwischenmenschliche Wärme sorgt? Bin ich jemandem zugeneigt, ist diese Haltung deutlich wichtiger als physische Nähe. Man kann eng neben einem Fremden im Bus sitzen, ohne sich ihm verbunden zu fühlen - ist man jedoch tausende Kilometer von jener Person entfernt, für die man Zuneigung empfindet, kann man sich durchaus an diesem Gefühl wärmen.

Liebe Leserin, lieber Leser, es wird hiermit deutlich, wie schlimm unterbeschäftigt meine Großhirnrinde während des Solowanderns war. Das nächste Mal sollte ich also wieder in Gesellschaft unterwegs sein. Das erspart euch allen solche oder ähnliche küchenphilosophische Ergüsse. :-)

Nach einer kurzen Ess- und Trinkpause oberhalb des reizenden Örtchens Hollenbach beschloss mein Körper allerdings, mehr Blut Richtung Magen als Richtung Gehirn zu leiten, was zur Folge hatte, dass ich wieder zum gewöhnlichen Wandersmann wurde, der die Gegend genoss, sich am traumhaften Wetter erfreute und "den Herrgott a liabes Manderl sein ließ".

Und zu schauen gab es wahrlich mehr als genug.

Gegen Ende der Tour begannen meine Gehirnganglien allerdings wieder ihr Recht einzufordern - wenn auch deutlich profaner als früher an diesem Tag:

Der Gedanke an die Organisation eines 100-Kilometer-Marschs (ähnlich dem Mega- bzw. dem Mammutmarsch) meldete sich wie schon einige Male in letzter Zeit zu Wort. Beide Veranstaltungen waren zwar nett, streckentechnisch aber durchaus suboptimal. Das Waldviertel böte einen bei weitem attraktiveren Schauplatz für ein solches Event. Meine letzten längeren Wanderungen durch unsere niederösterreichischen Highlands hatten mich in jener Überzeugung bestärkt, ebenso wie diverse Gespräche mit anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf den genannten Veranstaltungen. Nicht zuletzt hatten auch schon einige andere Wahnsinnige ihre Unterstützung bei der Durchführung eines solchen Vorhabens (zumindest locker) zugesagt. Auch ein Brainstorming gemeinsam mit meinem Freund Mario zu einem eventuellen Veranstaltungskonzept gab es schon.

Wie heißt es so schön? Schau ma moi.

In solche Gedanken versunken führte mich mein Weg an der Wüstung Hard vorbei, weiter durch den Hartwald bis zum gotischen "Böhmstein" vor Griesbach. Es handelt sich dabei wahrscheinlich nicht um ein Sühnekreuz, sondern um eine Grenzmarkierung oder - auch diese Theorie existiert - um ein Schutzzeichen am Rande jener Flur, die nach einer Schlacht am 14. Oktober 1431 von tausenden Leichen übersät war. Ja, das Waldviertel war nicht immer so beschaulich.

Die Sonne wurde stärker und stärker, bald hielten sich Eis und Schnee nur mehr im Schatten und gegen Mittag näherte ich mich wieder Peigarten, dem Ausgangs- und Endpunkt der Wanderung.

Der Herbst hatte sich mit tatkräftiger Hilfe unseres Zentralgestirns von seiner allerschönsten Seite gezeigt.

Ein Traumtag für eine kleine Wanderung ums Haus.

 

Zur Nachahmung dringend empfohlen.