Um dem momentan noch sehr zurückhaltenden Frühling die Stirn zu bieten und zu beweisen, dass man sogar heuer Ende Mai schon Klettersteige begehen kann, verließen mein jüngster (bald sechzehnjähriger) Sohn und ich das heimatliche Waldviertel, um einen landschaftlich wunderschön gelegenen Steig im Raxgebiet zu begehen.
Wir parkten das Auto auf einem kleinen Parkplatz an der Höllentalstraße, zogen die Bergschuhe an, schulterten die Rucksäcke und machten uns durch das Große Höllental auf den Weg zum Teufelsbadstubensteig.
Nach einiger Gehzeit durch das tief eingeschnittene, von gewaltigen Felswänden umstandene Tal schien meinem Jüngsten allerdings die Häufung der satanischen Begriffe in jener Gegend aufzufallen und so plauderten wir über die Bedeutung derselben.
Die aufmerksame Leserin und der aufmerksame Leser des vorliegenden Blogs werden sich sicher erinnern, dass ich schon in früheren Artikeln über die Bedeutung des Wortes "Teufel" in Flurnamen geschrieben habe. Wer meine Gedanken dazu noch nicht kennt, ist herzlich eingeladen, hier oder hier nachzulesen. Mit Hilfe der dort dargelegten Theorie ist es nicht allzu schwierig, die Teufelsbadstube als vorchristlichen Kultplatz anzunehmen.
Wie zur Hölle ist aber das Höllental zu seinem Namen gekommen? Eine höllisch geheimnisvolle Angelegenheit, oder?
Ich denke, es ist nur halb so mysteriös, wie es auf den ersten Blick scheint. Und da es auch im hohen Norden unserer Heimat (wie eigentlich überall in Österreich) Höll-Orte gibt, scheint es mir
angebracht, diesen Umstand im vorliegenden Blog "Nordwandern" auch zu besprechen. Also dann.
Streift man beispielsweise durchs nördlichste Waldviertel, trifft man gleich auf mehrere Gegenden, die als "Hölle" bezeichnet werden. Zwei Beispiele hierfür befinden sich in durchaus vertretbarer Wander-Reichweite zueinander und könnten insofern für flotte und ausdauernde Geherinnen oder Geher zu einer Tagestour kombiniert werden. Zum einen ist dies der Erlebniswald "in der Hölle" zwischen Illmanns und Grametten, zum anderen der "Höllgraben" südlich von Litschau.
Beides sind wirklich lohnende Ausflugsziele, bei denen die Gefahr, verzweifelte, gepeinigte Seelen zu entdecken, die auf ewig von sadistischen Dämonen mit glühenden Zangen gequält werden, recht gering ist – zumindest sofern der betreffende Wanderer lediglich legale Substanzen in seiner Blutbahn hat und keine schwerwiegenden psychischen Defekte aufweist.
Uns Heutigen erscheint diese Namensgebung etwas befremdlich und es drängt sich die Frage auf, wie es denn zur Benennung jener Fluren gekommen ist. Hierfür muss man in der Geschichte doch ein Stückchen zurückgehen:
In der germanischen Mythologie wurde der Begriff "Hel", der soviel bedeutet wie "verborgen" bzw. "verhüllt", für das Totenreich verwendet. Dieses war jedoch kein Ort des Schreckens, sondern einfach ein Bereich, der für die Lebenden schlicht und ergreifend nicht einsehbar war. Erst hinter diesem befand sich "Niflhel", auf Deutsch „Nebelhölle“, jener Ort, an dem die verdammten Seelen ihr trauriges Dasein fristen mussten.
Diese vorchristliche Hölle war durchaus nicht negativ besetzt, genauso wenig wie ihre (vor allem in nordischen Regionen prominente) Göttin gleichen Namens. Bei uns geriet diese mit Erstarken des Christentums allerdings mehr und mehr in Vergessenheit - oder wurde ganz bewusst totgeschwiegen. Lediglich im Märchen durfte sie noch als gütige „Frau Holle“ auftreten. Durch die weitere Vermischung mit Glaubensvorstellungen aus verschiedenen Kulten und Kulturen war bald die christliche Hölle als jenseitiger Ort der Schrecken entstanden – auch wenn diese Vorstellung vom ursprünglich in unseren Breiten heimischen Gedanken eines schützenden, bergenden Jenseits recht weit entfernt war.
Wie bereits Caesar in seinem "Gallischen Krieg" berichtet, war es in den vorchristlichen Religionen üblich, Götter in der Natur zu verehren. Somit wird es auch eigene Kultplätze der Hel gegeben haben, an denen ihr gehuldigt wurde - und was lag näher, als dies an Orten zu machen, die die Möglichkeit boten, in den Schoß der Erde, in eine Höhle, in den Leib der "Terra Mater" zu gelangen? Oder anders gedacht: Welche Orte konnten dem beschützenden, verhüllenden Totenreich ähnlicher sein als dunkle, verborgene, schattige Täler?
Wenn man also Gegenden, die einen "Höll“-Namen tragen, näher betrachtet, wird man entdecken, dass sie tatsächlich meist auf genau solche Täler verweisen. An deren Ende findet man immer ein mögliches Heiligtum, etwa einen Schalenstein, eine Grotte oder aber zumindest eine lichte Anhöhe oder einen Berggipfel. Alles Orte, die sich als Kultplätze eignen.
Auf beide Waldviertler Fluren trifft diese Charakteristik zu:
Stieg man früher aus dem deutlich tiefer liegenden Illmanns auf die erhaben gelegene Granitlandschaft der "Hölle" und fand dort Vertiefungen wie die "Graselhöhle", so führt einen der Litschauer "Höllgraben" direkt zum mächtigen "Höllstein" und weiter sogar zum "Altarstein".
So ist es meiner Meinung nach auch kein Zufall, dass direkt neben dem "Höllgraben" drei etwa zweieinhalbtausend Jahre alte Hügelgräber gefunden wurden. Man wollte die Toten wohl möglichst nahe an ihren Bestimmungsort bringen – was für ein postmortales Service!
Und ja, auch das Große Höllental neben der Rax bietet die perfekte Kulisse für eine Prozession durch die Dunkelheit des Totenreichs zu erhebenden, lichten Bereichen, zu Orten, die sich hervorragend für religiöse Feierlichkeiten eignen würden.
Wer einigermaßen gut zu Fuß ist, kann sich davon durch eine wunderschöne Wanderung selbst überzeugen.
Nachdem wir an jenem Vormittag also durch den dichten, schattigen Wald bis in den hintersten Bereich des Großen Höllentales gewandert waren, kletterten mein Sohn und ich ausgesetzt und luftig höher, den verborgenen Bereich der Talsohle immer weiter unter uns lassend - und dadurch verstehend, warum in so vielen Vorstellungen weltweit das Jenseits ein Reich der Schatten und das Diesseits ein Reich des Lichts ist.
Wer braucht Kirchen, wenn die Natur den Glauben der Menschen so formvollendet verkörpern kann?