Ich liebe das Waldviertel. Wirklich. Nicht umsonst lebe ich hier. Nicht umsonst fühle ich mich hier heimisch, obwohl ich gar nicht hier geboren bin. Nicht umsonst habe ich vor, hier zu sterben. Okay, vielleicht nicht gleich morgen, aber irgendwann.
Somit bin ich der Letzte, der nicht versteht, dass man das Viertel ober dem Manhartsberg möglichst vielen Menschen schmackhaft machen will - einerseits aus ehrlicher Überzeugung, andererseits aus wirtschaftlich-touristischen Überlegungen. Ich halte das für legitim. Das Waldviertel hat stadtmüden Urlaubern viel zu bieten.
Genau deshalb verstehe ich nicht, weshalb seit vielen Jahren versucht wird, dieser Landschaft den Nimbus eines mystisch-magischen Fantasyreichs zu verpassen. Da werden Steinformationen zu "Kraftorten", "Kultplätzen" oder ähnlichem. Esoterische Vorstellungen werden in Schautafeln als wissenschaftlich erwiesene Tatsachen verkauft und die Vorstellung, dass die Kelten in unschuldiger Naturnähe das wahre Menschsein verkörpert und ihre Spuren in der Landschaft des Waldviertels hinterlassen hätten, feiert fröhliche Urständ'.
Auf einer Informationstafel wird beispielsweise behauptet, dass an zwei Stellen neben dem oben abgebildeten Granitrestling "die Homöostase nach dem Aufenthalt auf beiden Plätzen eine
merkliche Reaktion" zeige. Das klingt vielleicht wissenschaftlich, ist es aber nicht. Welche Homöostase ist denn gemeint? In der Biologie unterscheidet man viele
Gleichgewichtszustände, deren Wahrung durch spezielle homöostatische Prozesse geschieht: Regelung des Eisenbestands im Blut, hormonelle Regulation, Regulation des Calcium- und
Phosphathaushalts, Thermoregulation, Regulation des Energiehaushalts und vieles mehr. Was aber die unter anderem propagierte "Wirkung auf den Herz- und Kreislaufmeridian" sein soll, erschließt
sich mir als Nichtesoteriker nur bedingt.
Zur Erquickung zivilisationsgeplagter Besucherinnen und Besucher wurden auf jenen besonders stark wirksamen Plätzen zwei Bänke aufgestellt, da "diese beiden Orte Bioinformation
besitzen, die die negative Wirkung der elektromagnetischen, radioaktiven und geopathogenen Belastung aufhebt." Ich ergänze: Der Aufenthalt auf diesen Bänken schützt auch vor Chemtrails, beugt der
Entführung durch Außerirdische vor und spült Bill Gates Mikrochips aus der Blutbahn.
Um ein wenig Zurück-zur-Natur-Feeling zu beschwören, bedient man sich im Waldviertel auch gern keltischer Symbole. Das Foto oben zeigt zwei typische: Lebensbaum und Triskele. Sie prangen an der Fassade eines Hotels.
Der Umstand, dass über die keltische Bevölkerung der Gegend nicht allzu viel Gesichertes bekannt ist, lässt genug Spielraum für Märchen und Romantik. Je geheimnisvoller desto besser. Die Fantasie braucht eine möglichst leere Projektionsfläche. Historische Erkenntnisse stören da nur. Schamanismus-Wochenendseminare, Trance-Trommel-Workshops und Erdmutter-Kochkurse brauchen ein wenig Mittelerde-Ambiente.
Sollte ich beim Schreiben der letzten beiden Absätze etwas zu bissig formuliert haben, möchte ich mich an dieser Stelle nicht dafür entschuldigen. Ich bin nämlich der Meinung, dass das Waldviertel jene billige Art der Touristenveräppelung nicht notwendig hat. Ganz und gar nicht.
Es ist eine Landschaft, die auch komplett ohne esoterisches Verkaufsgeschwurbel genug Reiz entwickelt, um Menschen jedes Alters in ihren Bann zu ziehen. Man kann in ihr sportlich oder gemütlich der Natur nahekommen, man kann ihre kulturellen ebenso wie ihre kulinarischen Vorzüge erforschen, man kann sich mit ihrer tatsächlichen Geschichte und mit ihrer größtenteils durchaus liebenswerten Bevölkerung auseinandersetzen.
Mein Tipp: Einfach hinfahren, schweigen, atmen, bewegen, schauen, hören und genießen.
Dann kann man vielleicht nachempfinden, warum ich irgendwann hier sterben will.
Aber vorher wird noch ein wenig gelebt. Ganz ohne Hokuspokus.